Fragen aus der SHG

Bei unserem letzten Gruppentreffen am Weltkrebstag (04.02.2015) tauchten Fragen zur Behandlung des Urothelkarzinoms auf:

Z. B.: Welche Konsequenzen hat eine radikale Zystektomie und welche Alternativen gibt es?

Dazu kann allgemein festgestellt werden:

Offene Operation: Blasenentfernung (Zystektomie)
Ist die endoskopische Behandlung nicht ausreichend, dann ist ein erweiterter chirurgischer Eingriff erforderlich.

Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Krebs in die Muskelwand der Blase eingedrungen ist oder auf benachbarte Organe übergegriffen hat.
Bei der Operation werden die gesamte Blase, die benachbarten Lymphknoten und befallene Nachbarorgane entfernt. Bei Männern betrifft dies die Prostata und die Samenbläschen, bei der
Frau die Gebärmutter, die Eierstöcke und Teile der Scheide. Je nach Befund kann in Einzelfällen eine Blasenentfernung erektionserhaltend beim Mann oder mit Erhalt der Gebärmutter und Eierstöcke bei der Frau durchgeführt werden.

Muss  die Blase entfernt werden, wird der Arzt sich mit Ihnen ausführlich darüber unterhalten, wie
die Funktion Ihrer Blase ersetzt werden kann. Er wird Ihnen erläutern, welche Möglichkeiten es gibt, den Urin zu speichern und abzuleiten, und welche Methode in Ihrem speziellen Fall in Frage kommt.

Verschiedene Möglichkeiten der Urinableitung 
Grundsätzlich kann aus einem Stück des Dünndarms (lleum) eine Ersatzblase (Neoblase) angelegt werden. Sie lässt sich mit den Harnleitern und der Harnröhre so verbinden, dass eine nahezu natürliche Urinausscheidung möglich ist.
Bei der Ileum-Neoblase wird eine Ersatzblase aus einer „stillgelegten“ Darmschlinge gebildet. Die Harnleiter werden in die neue Blase eingepflanzt, ebenso wie die Harnröhre. Es entsteht eine kontinente Harnableitung.

Liegen Gründe vor, die gegen eine Ersatzblase sprechen, muss der Urin durch eine Öffnung in der Bauchdecke (Stoma) abgeleitet werden, in der sich ein Katheter befindet. Auch dabei verwendet der Arzt ein Stück Darm – Dünndarm oder Dickdarm (Kolon) –, an das er die Harnleiter und ein Stoma (zum Beispiel über den Bauchnabel) anschließt. In diesem Reservoir (Pouch) kann der Urin eine Zeit lang gespeichert werden, bevor der Betroffene ihn über einen Katheter selbst entleert. Dank moderner Operationstechniken ist dieses Stoma dicht (kontinent), was für die Lebensqualität der Betroffenen sehr wichtig ist.

Eine weitere Möglichkeit der kontinenten Harnableitung ist die Einpflanzung der Harnleiter in den Mastdarm. Dann werden Stuhl und Urin vermischt, die Ausscheidung wird über den Afterschließmuskel reguliert.

Kontinente Harnableitungen bedingen einen relativ langen Kontakt zwischen Darmabschnitten und dem Urin. Da der Urin eine saure Flüssigkeit darstellt und sich dies ebenso dann im Blut niederschlagen kann, ist eine Voraussetzung für ein solches Urinreservoir, dass beide Nieren gut funktionieren. Ist dies nicht der Fall, würde eine solche kontinente Harnableitung die Funktion der Nieren weiter verschlechtern.

Der Pouch besteht aus ausgeschalteten Dünndarm- bzw. Dickdarmsegmenten. Über ein weiteres Darmsegment wird ein urindichtes Ventil in die Haut bzw. in den Nabel eingenäht, über dieses wird die Pouch-Blase mit einem Einmalkatheter entleert.
Bei der Harnleiter-Darmimplantation werden die Harnleiter direkt in ein nicht ausgeschaltetes Darmstück eingepflanzt. Die Urinentleerung erfolgt wie beim Stuhlgang über den After.
Ist eine kontinente Harnableitung nicht sinnvoll, fließt der austretende Urin durch das angeschlossene Darmstück direkt in einen Beutel, der auf das Stoma geklebt wird (Harnleiterfistel oder lleum conduit). In diesem Fall spricht man von einer inkontinenten Harnableitung.

Nebenwirkungen der Operation
Neue, verbesserte Operationstechniken haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Nebenwirkungen nach einer Entfernung der Blase und der Nachbarorgane geringer geworden sind.
Dennoch lassen sich unerwünschte Nebenwirkungen der Operation nicht vermeiden. Bei der Harnleiter-Hautfistel werden beide Harnleiter in die Haut eingenäht. Zur Versorgung wird ein
Stomabeutel über die Hautöffnung geklebt. Es ist eine Dauerversorgung mit Harnleiterschienen notwendig, die alle zwei bis drei Monate gewechselt werden müssen.
Beim Ileum conduit werden die Harnleiter in eine ausgeschaltete Darmschlinge eingenäht. Die Darmschlinge wird als Stoma in die Haut genäht. Der Urin wird über einen Stomabeutel gesammelt.
Ein Problem ist das Harnträufeln (Inkontinenz) bei Betroffenen, die eine Ersatzblase bekommen haben. Darunter versteht man, dass der Betroffene erst wieder lernen muss, den Urin zu halten beziehungsweise kontrolliert zu entleeren.
Die Urinkontrolle wird schneller wieder erreicht, wenn Sie regelmäßig Beckenbodengymnastik machen. Fragen Sie Ihren Arzt nach einer Anleitung.

Bei manchen Betroffenen kommt es im Anschluss an die Operation zu Infektionen der Harnwege, die mit Antibiotika behandelt werden müssen. Fadenreste an der Vereinigungsstelle von Ersatzblase und Harnröhre, eine zunächst unkoordinierte Blasenentleerung oder der bis zur Wundheilung eingelegte Dauerkatheter sind dafür verantwortlich.

„Reizblase“ Leben mit einer Ersatzblase
Nachdem der Katheter entfernt wurde, können Sie kurzfristig die typischen Symptome einer „Reizblase“ verspüren, das heißt, Sie müssen häufig zur Toilette, obwohl nur wenige Tropfen kommen. Nach dem Anlegen einer Ersatzblase fehlt Ihnen das typische Gefühl der vollen Blase. Sie werden vielmehr eher ein Druckgefühl im Unterbauch verspüren. Am günstigsten entleeren Sie die Darmblase im Sitzen. Da eine Ersatzblase keinen eigenen Muskel hat, der für die Entleerung sorgt, müssen Sie „nachhelfen“, indem Sie mit dem Bauch pressen. Nach einiger Zeit werden Sie sich daran gewöhnt haben. Das komplette Entleeren kann ein wenig mehr Zeit in Anspruch nehmen. Achten Sie darauf, dass Sie die Blase in der
ersten Phase nach der Operation alle drei bis vier Stunden entleeren.

Mit der Zeit wird die Ersatzblase immer mehr Urin aufnehmen können. Allerdings sollten Sie nicht mehr als 500 bis 600 Milliliter Urin speichern.
Das Darmgewebe, aus dem die Ersatzblase angelegt wurde, behält die Eigenschaft, Schleim zu bilden. Es ist daher normal, dass Ihr Urin ein wenig trüb oder flockig aussehen kann. Sollten Sie das Gefühl haben, dass sich der Schleim verfestigt, so können Sie Abhilfe schaffen, indem Sie ausreichend trinken. Empfehlenswert ist auch Preiselbeersaft. Auch hier berät Ihr Urologe Sie gerne.

Da bei der radikalen Zystektomie Anteile der inneren Geschlechtsorgane mit entfernt werden, ergeben sich bei Männern und Frauen unterschiedliche Nebenwirkungen, die nicht nur körperlich, sondern auch psychisch belastend sind.
Bei Männern ist aufgrund der Prostataentfernung die beeinträchtigte Gliedversteifung (erektile Dysfunktion) häufig ein schwerwiegendes Problem. Erhalten bleiben natürlich die sexuelle Lust und auch das Gefühl bis hin dazu, einen Orgasmus erleben zu können. Aber die Versteifungsfähigkeit des Gliedes ist gestört.
Dafür sind zwei Nervenstränge verantwortlich, die rechts und links an der Prostata entlanglaufen, und zwar so dicht, dass der Urologe diese Nerven bei der Operation nicht immer schonen kann.
Kam es früher bei fast allen Betroffenen zu einer dauerhaften Impotenz, so lässt sich heute das Erektionsvermögen des betroffenen Mannes häufiger erhalten. Eine Garantie für die Erhaltung der Potenz gibt es jedoch nicht.
Ist die Erektion gestört, gibt es mehrere Möglichkeiten, dies zu beheben
•• Medikamente in Tablettenform helfen etwa der Hälfte der betroffenen Männer. Sie können diese bereits wenige Wochen nach der Operation einnehmen. Lassen Sie sich von Ihrem Arzt beraten.
•• Medikamente, die der Patient selbst unmittelbar in die Schwellkörper spritzt oder in die Harnröhre einbringt. Sie sind angebracht, wenn Tabletten versagen. Auch hier weiß Ihr Arzt Rat.
•• Eine Vakuumpumpe, die auf den Penis aufgesetzt wird, erzeugt durch das Vakuum einen Blutstau im Penis und somit eine Versteifung. Ein Gummiring, der an der Penisbasis angebracht wird, erhält die Erektion aufrecht.
•• Schwellkörperimplantate stehen als weitere Möglichkeit zur Verfügung, allerdings nur, wenn alle zuvor genannten Maßnahmen nicht erfolgreich waren oder wenn der Betroffene sie nicht wünscht. Allerdings sollen solche Implantate frühestens ein Jahr nach der Operation zur Anwendung kommen.
Wechseljahrbeschwerden
Für welche der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten Sie sich letztlich entscheiden, sollten Sie auch gemeinsam mit Ihrer Partnerin / Ihrem Partner überlegen.
Wurden einer Frau bei der Operation die Eierstöcke mit entfernt und haben diese noch regelmäßig Hormone produziert, so stellen sich unmittelbar nach dem Eingriff die typischen Wechseljahrbeschwerden (Klimakterium) ein. Dazu gehören Hitzewallungen, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen und Gewichtszunahme. Diese Beschwerden legen sich im Laufe der Zeit von allein, lassen sich jedoch auch durch die Einnahme von Hormonpräparaten lindern. Besprechen Sie mit Ihrem Arzt, ob für Sie die Einnahme solcher Hormone in Frage kommt. Frauen können nach der Operation keine Kinder mehr bekommen, wenn die Gebärmutter entfernt wurde. Die Scheide kann durch den chirurgischen Eingriff enger
oder kürzer werden, so dass es zu Beeinträchtigungen beim Geschlechtsverkehr kommen kann. Wenn Sie Beschwerden haben, wenden Sie sich vertrauensvoll an Ihren Frauenarzt.

Chemotherapie
Manchmal können bei der Operation nicht alle Krebszellen entfernt werden – entweder weil bereits einige über die Lymph- oder Blutbahn im Körper verstreut sind oder weil sich bereits Tochtergeschwülste in entfernten Organen gebildet haben. Dann wird Ihr Arzt Ihnen eine Chemotherapie empfehlen.
Eine Chemotherapie zerstört Zellen, die sich schnell teilen. Die Medikamente (Zytostatika), die dabei zum Einsatz kommen, hindern Zellen daran, weiter zu wachsen, indem sie in die Zellteilung eingreifen. Der Blutkreislauf verteilt die Medikamente im ganzen Körper (systemische Therapie). Das hat allerdings den Nachteil, dass sie auch gesunde Gewebezellen angreifen, die sich oft teilen.
Dazu gehören zum Beispiel die Schleimhaut- und Haarwurzelzellen. Werden gesunde Zellen angegriffen, entstehen Nebenwirkungen, die wir Ihnen später noch näher beschreiben. Fragen Sie aber auf alle Fälle auch Ihren Arzt, womit Sie rechnen müssen und was Sie gegen die Nebenwirkungen tun können.
Zytostatika können einzeln eingesetzt werden (Monotherapie) oder kombiniert in sogenannten Schemata. Die verwendeten Medikamente sind sehr giftig. Deshalb dürfen sie nur mit größter Vorsicht eingesetzt und Wirkungen und Nebenwirkungen müssen ständig kontrolliert werden. Nur ein erfahrener Arzt sollte eine Chemotherapie durchführen.
Sie erhalten die Zytostatika über Infusionen oder in Tablettenform in regelmäßigen Abständen. Meistens kann die Chemotherapie heute ambulant erfolgen, das heißt, Sie können am Therapietag oftmals wieder nach Hause gehen. Eine weitere Form der Chemotherapie ist die lokale Anwendung in der Harnblase.

Topische Chemotherapie nach TUR
Wurde ein Blasenkrebs im Frühstadium mit der Elektroschlinge endoskopisch entfernt, kann sich in Manchen Fällen erneut bösartiges Gewebe bilden. Die Wahrscheinlichkeit dafür hängt unter anderem vom Tumorstadium und vom Grad der Bösartigkeit der Krebszellen (Differenzierungsgrad) ab.
Aus diesem Grund erhalten Betroffene, die mehrere Rezidive aufweisen, vorbeugend (prophylaktisch) Medikamente, die dieses erneute Wachstum verhindern sollen. Über einen Katheter werden die Zytostatika direkt in die Blase eingespült (intravesikale Chemotherapie) und verbleiben dort für zwei Stunden. Die Behandlung erfolgt (falls erforderlich) meist kurz nach der TUR einmalig. Selten ist es nötig, diese über Monate fortzusetzen.

Die lokale Anwendung von Chemotherapeutika in der Harnblase hat meist keine Nebenwirkungen. Es kann jedoch vereinzelt zu einer gereizten Blase kommen, ein Zustand der nach einigen Tagen von selbst verschwindet.

Topische Immuntherapie nach TUR
Als Alternative zur prophylaktischen Chemotherapie können Arzneimittel, die das körpereigene Abwehrsystem (Immunsystem) anregen, zum Einsatz kommen. Auch sie haben das Ziel, ein
Wiederauftreten des Tumors in der Blase zu verhindern.
Der Immunmodulator BCG (Bacillus Calmette-Guérin) wird ebenfalls direkt in die Blase eingebracht und wirkt dort eine gewisse Zeit, bis der Betroffene die Blase wieder entleeren darf. Die Behandlung mit BCG beginnt in der Regel später nach der TUR und erfolgt dann ebenfalls einmal pro Woche für etwa sechs Wochen.
Die Langzeittherapie sieht nach drei beziehungsweise sechs Monaten eine Behandlung einmal wöchentlich für drei Wochen vor, danach bis zum Ablauf von drei Jahren nur noch halbjährlich. Ein Sonderfall ist das Tumorstadium Carcinoma-in-situ (Tis ): Da hier das Rückfallrisiko besonders hoch ist, gehört die medikamentöse Behandlung mit BCG auf jeden Fall zur Ersttherapie. Häufige Nebenwirkung bei der Chemo- oder Immuntherapie nach TUR ist die Blasenentzündung. Dagegen gibt es jedoch wirksame Medikamente. Fragen Sie Ihren Arzt danach.
Ob Sie eine Chemo- oder Immuntherapie bekommen, hängt davon ab, zu welcher Risikogruppe Sie gehören. Wer ein niedriges bis mittleres Rückfallrisiko hat, wird mit Zytostatika behandelt, bei einem hohen Rückfallrisiko mit BCG.

Reinhard Heise, Gruppensprecher